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Neulich in einer Herrenboutique in Wuppertal.

Sie betrat die Boutique so, als ob ihr letzter Gedanke kein heiterer gewesen war. Ihr knallroter Mund schrumpfte derweil und endete rechts und links in einem dunklen Komma, als sei er so nicht zu ertragen. Dass sie damit einen viel zu ernsten Eindruck machte, schien ihr recht zu sein. Es folgten Sätze aus Plaudergewebe und Smalltalkblasen der alten Schule:

„Der Winter ist dieses Jahr nur grau in grau, ja?

„Haben Sie unsere neuen Pullunder schon gesehen?“

Als sie ihren kleinen Hund in der Handtasche fütterte, machte sie sich der Anmut verdächtig. Danach versuchte sie ständig mit der linken Hand ihr Haargesteck, das nur so vor Volumen strotzte, zu frisieren, um der Symmetrie willen eine Eigenart zu vertuschen.

Im folgenden Gespräch mit der Verkäuferin küsste man sich verbal, um danach ähnlich hastig in den sachlichen Ton zu verfallen. Die Verkäuferin lächelte ununterbrochen. Aber so, wie Strenge lächeln, ihren Gesprächspartnern zuliebe. Die gespielte Zuneigung der Verkäuferin war jedoch ohne Aufdringlichkeit. Die Art, ihre Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten, schien gelernt zu sein. Sie tat das, um ihrer Kundin zu gefallen. Ihre Stimme verkündete nicht, aber sie überbrachte eine Botschaft, die ihre Kundin zum Kauf animieren sollte:

„Das wird ihrem werten Herrn Gemahl bestimmt gefallen!“

Und die Kundin begann abzuwägen. Dabei wurden Vorentscheidungen getroffen. Vieles fiel sofort aus dem Raster. Es ging nur noch um Farben, Formen und Finesse. Ein Pullunder und ein Schal kamen sofort in den Recall. Von der Seite. Von der anderen. Als die Kundin ihre Verstiegenheiten zur politischen Lage verkündet hatte, wusste die Verkäuferin schon, dass Sie sich zum Kauf entschlossen hatte.

Und die Moral von der Geschicht, die gibt es einfach nicht.

  • Autorenbild: Dr. Florian Hugk
    Dr. Florian Hugk
  • 18. Okt. 2018
  • 3 Min. Lesezeit

oder Auszüge eines ersten Dates.




Am Tisch gegenüber saß er, ein Twen. Bestimmt Student. Aber ein älteres Semester. Seine dunkelbraunen Haare und seinen Vollbart trug er kurz. Einfach. Schlicht. Praktisch. Unaufgeregt eben. Auf beiden Unterarmen ein buntes Treiben. Langer Rundhalsausschnitt mit skinny Röhrenjeans. Seine Postur: sportlich gechillt und natürlich swag, aber es hatte nicht zu eins achtzig gereicht. Er tippte die ganze Zeit irgendwelche Nachrichten in seinen Tindergarten. Dann kam sie durch die Tür.

Sie war schlank. Dreiundzwanzig vielleicht. Ihre hellen Augen adelten ihr blau. Hellblond dazu. Gefärbt. Ein wenig kraus. Mit Extentions. Ihr ovales Gesicht strotzte nur so vor Symmetrie. Mega tight. Dazu Röhrensonnenteint, Kreolenohringe und dicke Augenbrauen. Highwaistjeans und ein gelbes cropped Top. Der Style also porno de luxe.

Beide mussten sich auf irgend so einer Single-App* kennen gelernt haben, sonst wäre die Begrüßung sicher anders ausgefallen. Nach dem Hahaha und Hihihi, schnappte sie sich sofort die Getränkekarte, vertiefte sich wie selbstverständlich in die Angebote und wählte auffällig lange aus. Er beobachtete sie, wollte dabei aber unbemerkt bleiben. Er sah immer wieder auf und zu ihr hin. Ihr schien das zu gefallen. Als das Schweigen schon peinlich geworden war, begann er diese Sätze, die sich, wenn man sie anstößt, wie die Samen der Pusteblume in alle Himmelsrichtungen bewegen.


Läuft bei Dir.


Danach war alles gechilled, easy, lit oder fly. Und natürlich war man dann von allem sofort geflashed oder man fand es wack. Banalverkehr eben. Die üblichen Partyappetizer also, die immer genauso belanglos wie berechnend sind. Weil darüber oft nur so gesprochen wird, wie es erwünscht ist. Die Außenfassade, die man dabei wahrt, bröckelt in den meisten Fällen überhaupt nicht von der Haut ab. Der Gegendruck schwimmt derweil im Innersten. Lässt sich treiben. Bis zur Diffusion.

Dann fragte er in einer Tonart, die durch Wiederholung entstanden war und das auch noch offen demonstrierte:


Und? Was machst Du denn genau in der Firma, in der Du arbeitest?

Was gerade anschteht. Einkauf. Verkauf. Is aber chillig.

Okay. Ist nicht so Deins, oder?

Sie zuckte wie gleichgültig mit den Schultern und sagte trotzig: Nice wär einen Hundesalon in der Türkei oder auf Mallorca.

Mitten in diesem Satz erstickte das Signal ihres iPhones das aufflammende Gespräch. Unsanft. Überraschend. Und unnachgiebig. Sie entschuldigte sich knapp und las angestrengt. Ihre Stirnpartie drückte schon ihre Laune aus, als sie mal eben zurückschreiben musste. Ihre beste Freundin wollte eigentlich später noch vorbeischauen. Sie war sichtlich genervt. Er hielt sich bedächtig zurück und schaute sich die anderen Cafégäste an, die ihm jetzt wie Zuschauer vorkommen mussten. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet. Obwohl er sie nicht ansah, beobachtete er sie. Ihr Blicke kreisten hingegen aufgeregt suchend über das Display ihres Handys, als es erneut vibrierte.



Bohr, nee, odda? Das geht gar nich klar. Lass ma zahlen bitte.

Okaaaay. Kein Problem, aber die Getränke sind ja noch gar nicht da! Wasn los?

Isch muss los. Meine Freundin stresst voll rum. Kannst Du vielleicht bezahlen, ja? Ich bin grad total broke.

Ja. Klar.

Voll nice von Dir. Isch meld mich bei Dir. Verschprochen!


Als sie schon aus der Türe war, kamen erst die Getränke. Er trank beide in aller Ruhe aus und versank derweil erneut in seinem Tindergarten.

* Die Namen dieser Apps klingen wie ein Hornsignal zur Brunftzeit. Mit geladener Flinte. Und räudigem Fell. Mit Spürnaseninstinkt durch Wälder treibend. Immer auf der Suche. Dank der Namenlosigkeit im Internet sind die Alarmglocken, die dort Liebe versprechen, erträglich geworden. Keiner Strömung preisgegeben, kann man sich dort wie in einem Selbstbedienungsladen nach Herzenslust durchwischen. Ohne Gefühl, weil ohne Grenzen. Aber doch ein Bedürfnis. Und deshalb aufmerksamkeitssüchtig. Ein visuelles Reizgewitter, das Milderung gelobt.

  • Autorenbild: Dr. Florian Hugk
    Dr. Florian Hugk
  • 9. Aug. 2018
  • 4 Min. Lesezeit



Als die Busse einer voll gestopften Raupe gleich, der eine bergauf, der andere talabwärts kroch, bemerkte ich, dass beide Fahrer genau in der Behäbigkeit ihre Hand zum Gruße erhoben, in der sich auch ihr Gefährt auf dem grauen Asphalt voranschleppte. Beide machten dabei ein Gesicht wie Wuppertaler Regenwetter. Und auch an den Haltestellen rechts und links blies der Wind den Fahrgästen ein wenig davon entgegen.

Zwei Sitzreihen gegenüber hatte ein älterer Herr vor einigen Minuten Platz genommen. Mit schlecht gegelten hellgrauen Haaren, die er zu einer Art Stirnigel nach oben gewuchtet hatte. Sein rotbläulicher Teint verriet seine alltäglichen Vorlieben. Und überhaupt. Sein Gesicht war ziemlich aufgedunsen. In der Mitte glänzte ein feuerroter Zinken, alles auf einem massigen Breihals, der seine Falten zu einem Kropf nach vorne fallen ließ.

Er musste schon seit längerer Zeit eine Atemfahne aus Pilsbier und Korn vor sich her getragen haben, anders konnte ich mir die beißende Penetranz, der von ihm ausgeschnauften Alkoholwolke, nicht erklären. Es war halb sechs. Naja. Kein Bier vor vier. Aber dann anderthalb Stunden Blitzbetankung! Ich sah meinen Vordermann in meiner Vorstellung auch schon am Tresen stehen. Rechte Hand am Pilsglas, linke abgestützt am Barhocker:

Machse mek nomma en U-Boot, Gabi? Auf einem Bein kann man nich stehn!

Und Gabi dann: Wenn gar nix läuft, dat läuft, Peter!

Ja. Dat is dat ja.

Zu Hause gab es als Grundlage Schwarzbrot mit Griebenschmalz und Blutwurst. Dazu Export aus der Flasche. Und dann dieses Zisch-Plopp-und-Schäum-Geräusch, nachdem die Flasche und der Oberkörper wie ein Ypsilon verschmolzen waren. Ek geh no namm Gabi!

Der Vielleicht-Peter schnaufte immer noch. Mittlerweile hatte seine Fuselwolke meine Atemwege wie eine Saugglocke abgedichtet. Zu allem schlecht riechenden Überfluss bekam er an der nächsten Haltestelle auch noch Gesellschaft. Ja, klar, die ziehen noch weiter, dachte ich und beobachtete Vielleicht-Peters Kollegen auch schon, der sich leicht schwankend, nachdem er Vielleicht-Peter schon beim Einsteigen mit gesenktem Kopf und erhobener Hand begrüßt hatte, auf eben diesen zubewegte. Dabei hangelte er sich von Stange zu Stange und Sitz zu Sitz, um bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er war vielleicht Mitte sechzig. Nach seinem Hautbild zu urteilen, war er starker Raucher. Das helle Poloshirt, das er unter seiner ausgewaschenen Jeansjacke trug, war eigentlich nicht zu klein. Und doch ragte sein behaarter Spitzbauch oberhalb des Gürtels eine handbreit hervor. Als er endlich auf Vielleicht-Peter zukam, fragte er:

Wat maaks Du dann hie? Und schon schämte ich mich fremd, denn ich kannte diese unangenehme Situation. Vor allem dann, wenn man jemanden trifft, den man lieber nicht oder nur zum Guten-Tag-und-guten-Weg-Austausch getroffen hatte. Direkt bekommt man ein schlechtes Gewissen. Man möchte vor lauter Verwunderung über die Unangemessenheit der Frage so etwas völlig absurdes antworten wie „Blumen gießen“. Aber man tut es nicht. Würde man es aber tun, könnte man sich sicher sein, dass einem diese Frage, so gestellt, von diesem Fragenden, nicht mehr gestellt werden würde. So einfach wäre das.

Aber die beiden schengten munter vor sich hin. Von Breihals zu Breihals schnauften sie die Worte heraus. Wie man Bücher abgrasen kann nach Worten, so lauschte ich ihrem Gespräch. Und wie ich atmete dabei. Immer die Luft anhaltend, um nicht permanent dieser Fuselwolke ausgesetzt zu sein und um ja nicht auch nur das Geringste der beiden zu verpassen. Als ich vor lauter Atemlosigkeit meine Luft fontänenartig auspusten musste, entpuppte sich das Gespräch als eine Extra-Einladung zu einer ungewollten Stand-up-Comedy:

Ek moss no namm Pitter. Sollte da wirklich ein Peter im Spiel sein? Ich schmunzelte. Nachdem sich Vielleicht-Peter kurz geräuspert hatte, fragte er seinen Kumpanen, bevor er einige undeutliche Kehlkopflaute herausrülpste:

Un sons?

Und der brummte dann diese existentielle Gemütstirade, die man hier aller Orten auffangen kann wie kalte Regentropfen:

Ja muss, ne.

Wunderbar wie die voran kommen, dachte ich und starrte, ohne etwas zu sehen, aus dem Fenster, als Klaus auch schon zur Gegenfrage ausholte:

Un selbs?

In einem Ausstoß von Ebensoplatt entgegnete Vielleicht-Peter, indem er mehr in sich hinein polterte:

Ja. Wie sollet schon sähn? Schäße!

Vielleicht-Peter räusperte sich und strich sich mehrmals den vollen, blonden Oliba glatt. Derweil glotzten beide mit offenem Mund und leerem Blick auf die junge Frau vor der Fahrertüre, die gerade im Begriff war einzusteigen. Das veranlasste Vielleicht-Peters Sitznachbar dazu sich kurz aber kräftig unter der Achsel zu kratzen. Dann gab er mit einem feuchten Fischblick zu erkennen, dass Vielleicht-Peter jetzt mit allem rausrücken müsse. Vielleicht-Peter musste den Kopf zurück genommen haben, um das Kinn gegen den Hals zu drücken. Anders waren diese Töne nicht möglich:

Ek ben so wat von bödient, raunzte Vielleicht-Peter weiter.

Wat is denn Ambach?

Ach, dat is do ewich de jleiche Leier hie. Da kannse do nu Prost saren!

Vielleicht-Peters Mundkartoffel, die heiß und groß auf seiner Zunge tanzte, duellierte sich inzwischen mit zum Teil heftigen Hustenattacken:

Du wirst lachen, Klos, abbor de Pitter muss mek no dat Watter anschloten und is da schon sitt drie, veer Dag om orbäten, der olle Drömmelpitter. Glaupse der hätt dat mann? Ek wöll man so saren: ek hab dem de ganze Driete do hinjelegt. De janze Driss. Wäße, de mach all de Akeldük füdde Stadt. Unjetz achtich Euro do fü. Achtich Euro! Unne ganze Driss is om droppen. Ek bin sowatt von bödeent. Ek steisch dem getz obbett Dach!

Dann hustete er. Mit Land. Danach schluckte er.

Beim Hinausgehen, der Bus hatte gerade am Hauptbahnhof gehalten, meldete sich der Darm von einem der beiden Possenreißer. Ich konnte und wollte nicht ermessen, wer von den beiden sich diese Flatulenz, die wie dröhnende Trompetensatire klang, auf die Fuselfahne schreiben konnte. Die Brüllmücke tanzte indes zwischen Tür und Angel aus dem Bus. Mit angehaltenem Atem stand ich auf und stürzte kurz hinter den beiden zur Türe hinaus.

Iss ja nu am plästern, ja! Dat is do all ne Drissschäße!, hörte man noch von den Schmörmelbrüdern, als ich meinen Kopf am imaginären Schwall des Trompetenkäfers vorbei zur rechten Seite hinausstreckte. Ich musste nach links. Also einen großen Bogen schlagen. Und den Schritt beschleunigen...






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